Jesus stirbt am Kreuz. Zwar in aller Öffentlichkeit, aber doch einsam. Seine Freunde waren fast alle weg. Von den Soldaten wird er verlacht. Selbst einer, der mit ihm auf Golgatha hängt, spottet. Seine Mutter stand noch da. Seine Tante auch. Und Johannes, sein Lieblingsjünger. Aber seine Hand halten oder gar ihn selbst umarmen ist nicht möglich.
Auch in diesen Tagen wird gestorben. Einsam. Manchmal sogar namenlos. Nicht nur in Krankenhäusern oder Altenheimen. Nicht nur an Corona. Gestorben wird an den Folgen von Umweltzerstörung, gestorben wird in Flüchtlingslagern oder im Mittelmeer. Auch im Straßenverkehr und an so vielen Orten kommen Menschen zu Tode. Zum Leben gehört der Tod, das wissen wir. Alt und lebenssatt zu sterben wäre schön, aber wir erleben, es ist so vielen nicht geschenkt. Sterben ist auch gewaltsam.
Die Bilder von Särgen in so hoher Zahl, wie wir es in Italien sehen, gehen uns nahe. Die Schicksale der Menschen dahinter noch viel mehr. Von vielen werden wir erst noch hören, was uns manchmal schier das Herz zerreißen mag.
Hatten sie den gleichen Ruf auf den Lippen, wie es von Jesus erzählt wird: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Oder versteht so mancher gar nicht, warum denn so gar niemand da ist in diesem Moment, niemand derer, die er oder sie zu seinen Lieben gezählt hat?
Das Sterben geht weiter. Für jene Menschen kann ich nur hoffen und beten, dass ihr Blick aufs Kreuz fällt, das in manchen Zimmern aufgehängt sein mag. Und dass sie in diesem Kreuz Jesus erblicken und spüren, dass er den letzten Weg mitgeht.
Und dass sie spüren, dass Jesus dann auch den Weg über die Schwelle mitgeht und ich stelle mir vor, dass sie den letzten Schritt aus diesem Leben hinaus von ihm „getragen" werden. So oft, wenn ich Menschen am Übergang von Leben und Tod begleite, hat mich die Gewissheit erfüllt, dass diese Menschen nun bei Gott angekommen sind; ja sogar, dass sie erwartet worden waren und ich das Gefühl hatte: nun ist Friede. Ja, dessen bin ich mir gewiss, dass sie bei Gott neues Leben gefunden haben.
In diesen Tagen wird nicht aber nicht nur gestorben. So viele und vielfältige Geschichten von Verzweiflung und Not gibt es. Insofern bricht der Karfreitag oft genug nicht nur in Form von Tod in unser Leben, sondern schon vorher in allen menschlichen Erfahrungen von Leid und Zerstörung. Bricht herein in dem Erleben von Verzweiflung und Scheitern, von Angst und Sorge um die Zukunft.
Der Karfreitag war für mich schon immer ein besonderer Feiertag. Er erinnert mich, mahnt mich, auch wenn es mir gerade gut geht, dass mein Leben und wohl unser aller Leben Tiefpunkte kennt. Manchmal sogar welche, an denen man vor Verzweiflung schier wahnsinnig wird oder nicht mehr weiterweiß. Der Karfreitag kennt viele Gesichter. Und die Erfahrung des Karfreitags dauert selten nur einen Tag. Solche Phasen des Lebens können einem manchmal vorkommen wie eine Ewigkeit.
Als Jesus am Kreuz stirbt, ist die Krise am tiefsten Punkt angelangt. Welche Hoffnung sollte es noch geben? Welche Hoffnung gibt es für uns?
Manchmal tatsächlich keine, die in dem Moment sichtbar wäre. Auch keine, die in uns selber läge. Trost oder besser gesagt Trostversuche sind mitunter zu früh. Aber doch muss jemand da sein. Es muss jemand erst einmal mein Leid wahrnehmen und mich sehen in meiner Situation, ohne schon zu wissen oder zu raten, was werden wird. Gesehen werden, wahrgenommen werden, kann ganz oft ein Anfang sein. Menschen des Glaubens haben damals schon bald in Jesu Tod gesehen, dass er Gutes in sich trägt. Dass er für uns hilfreich sei.
Wir finden das konzentriert in dem Bekenntnis: Jesus ist auch für dich gestorben. Ich weiß, dass manche Menschen heute damit auch Mühe haben.
In Bezug auf die Krisen unseres Lebens heißt das für mich, dass Gott uns Menschen nicht vor dem Karfreitag bewahrt. Der Karfreitag ist auch eine menschliche Erfahrung.
Es heißt für mich aber auch, dass Jesus Christus uns sieht. Er kommt an unsere Seite, er ist an unserer Seite. Er nimmt diese Erfahrungen der Tiefe auf seine Schulter. In meiner Dunkelheit ist er da, in meinem Schmerz, in meiner Verzweiflung, in meiner Angst und Sorge – er weiß, wie sich das anfühlt.
Und dann? Dann möge das Vertrauen in uns aufsteigen, das Dietrich Bonhoeffer in dem bekannten Vers zum Ausdruck brachte: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag." Seiner Hinrichtung vor 75 Jahren haben wir am 9.4 - also am Gründonnerstag gedacht.
Der Karfreitag erinnert uns, es gibt die Leiderfahrung und die Tiefpunkte in jedem Leben. Aber dieser Tag erinnert uns auch, Christus hat auch sie auf sein Kreuz genommen und ist uns darin nahe.
Und dann gibt es für uns doch noch eine Aussicht. Eine Aussicht auf Leben, das stärker und gewaltiger ist als alle Todesmächte. Lassen sie uns in dieser Erwartung auf Ostern hin leben. Gott segne sie!