Liebe Gemeinde,
wir haben noch Zeit! Wir haben noch Zeit, zur Umkehr. Gott lässt uns Zeit dafür. Das ist das Evangelium, das ist die gute Botschaft heute am Buß- und Bettag 2016. Es ist nicht so, dass alles zwangsläufig den Bach hinunter geht. Es ist nicht so, dass wir alle verloren sind, auch wenn uns viele Schreckensmeldungen erreichen. Nein, wir haben Zeit zur Umkehr. Und der Buß- und Bettag mahnt uns, diese Zeit, die Möglichkeit auch zu nutzen.
Sie sind heute zum Gottesdienst am Buß- und Bettag gekommen. Schön, dass Sie diesen Tag nicht vergessen. Der Buß- und Bettag hat ja eine wechselhaft Geschichte. Schon in der Antike, im alten Rom, gab es Bußtage und Bußzeiten. In der Fürbitte wurde vor Gott für die Sünder eingetreten und sie wurden zur Umkehr gerufen. Im Mittelalter gab es kirchliche und von der Obrigkeit einberufene Bußtage, vor allem um Not und Unglück abzuwenden. Die Reformation nahm dann die Bußtage auf, oft auch aus aktuellem Anlass. So wurde einer der ersten evangelischen Buß- und Bettag anlässlich der sogenannten „Türkengefahr" 1532 in Straßburg gefeiert, auf kaiserliche Anordnung übrigens. In den evangelischen Gegenden hielt man es mit den Bußtagen und Bettagen von Region zu Region anders. Erst 1893, also vor erst vor knapp 125 Jahren wurde der Mittwoch vor dem Ewigkeitssonntag als Feiertag in Preußen eingeführt und erst 1934 wurde er ein Feiertag für das ganze deutsche Reich. Wenn man damals wirklich umgekehrt wäre!
Die Bayern haben in der Nachkriegszeit mit dem Buß- und Bettag gefremdelt, obwohl Buße und Umkehr ja gerade auch da von Nöten waren. Ab 1952 war der Buß- und Bettag immerhin in überwiegend evangelischen Gegenden Feiertag und erst ab 1981 dann bayernweit. Lang hatte er dann nicht Bestand, denn 1995 wurde er für die Finanzierung der Pflegeversicherung aufgegeben. Nur die Sachsen, die evangelischen Kernlande also, waren standhaft. Dafür muss man in Sachsen als Arbeitnehmer jetzt einen höheren Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen. In Bayern gibt es auch was Besonderes: hier ist der Buß- und Bettag schulfrei. Zumindest die Familien, die Kinder haben, merken also noch, dass dieser Mittwoch ein besonderer Tag ist.
Auch wenn der Buß- und Bettag kein gesetzlicher Feiertag mehr ist, Zeit zur Umkehr und Zeit zum Beten bleibt uns trotzdem. Wir haben noch Zeit dafür, das ist die gute Botschaft heute. Das ist das Evangelium. Wir haben noch Zeit.
Unser Bibelwort für heute steht im Lukasevangelium (Lk 13,1-9):
Der Untergang der Galiläer. Der Turm von Siloah
1 Es waren aber zu der Zeit einige da, die berichteten Jesus von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. 2 Und er antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? 3 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen. 4 Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm von Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen seien als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? 5 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen.
Das Gleichnis vom Feigenbaum
6 Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. 7 Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, drei Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8 Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn herum grabe und ihn dünge; 9 vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.
Liebe Gemeinde,
das ist ja erst mal eine verstörende Erzählung. Da kommen Leute zu Jesus, Leute, denen der Schrecken noch in den Gliedern sitzt. Sie berichten von einem Massaker des Statthalters Pontius Pilatus im Tempel. Galiläer, vielleicht Aufständische oder welche, die Pilatus dafür hielt – so genau nahm er das nicht – wurden offenbar im Jerusalemer Tempel niedergemetzelt. Ihr Blut vermischte sich mit dem der Opfertiere, heißt es. Bei so einer entsetzlichen Tat kann man entsetzt sein! Was erwarten diese entsetzten Leute, die Jesus das erzählen, von ihm? Dass er ihre Empörung teilt? Dass er die Tat verurteilt? Dass er zum Ausstand gegen die Römer aufruft?
Aber Jesus reagiert unerwartet: Glaubt doch nicht, dass ihr besser seid als diese, die umgekommen sind. Es hätte euch genauso treffen können. Kehrt lieber um, als euch aufzuregen. Sonst geht es euch am Ende genauso. Und er setzt noch eines drauf: Habt ihr nicht mitgekommen, wie beim Einsturz des Turmes am Siloahteich 18 Menschen umkamen. Die waren doch auch nicht schuldiger als ihr. Die haben das auch nicht mehr oder weniger verdient als ihr.
Verstörend sind diese Worte. Warum? Weil Jesus nicht – wie wir es gewohnt sind und meisten es auch tun – Verantwortliche und Schuldige sucht. Weil er die Tat nicht verurteilt? Und auch: weil er kein Mitgefühl für die Opfer zeigt? Ihm geht es diesmal offenbar nicht um die Opfer und auch nicht um die Täter, sondern um die, die zu ihm kommen.
Was sagt Jesus mit seiner Antwort? Wenn es um die Schuld geht, dann stehen wir vor Gott alle doch gleich da. Und von Eintreffen eines Unglückes, darf man nicht auf die Schuld der Opfer schließen. Das hat man damals gerne gemacht und hie und da, geschieht das immer noch. Manch einer denkt, wenn jemand erkrankt, irgendwie wird das schon mit seinem Lebenswandel zu tun haben.
Die erste, etwas ernüchternde Antwort an diesem Abend heute ist: Ihr seid auch nicht mehr oder weniger schuldig als die, die es trifft. Ihr seid auch nicht besser als der, der an seiner Raucherlunge stirbt. Ihr seid auch nicht besser, als die Tornadoopfer in Haiti. Ihr seid auch nicht besser, als die Flüchtlinge, die im Mittelmehr ertrunken sind. Den einzigen Vorteil, den Ihr habt, Ihr habt noch Zeit! Zeit zur Umkehr.
Das zweite, das Jesus den Leuten sagt, klingt nicht weniger ernüchternd: Wenn ihr nicht Buße tut, wenn ihr nicht umkehrt, wird es euch genauso treffen. Indirekt ist das eine Aufforderung: Nutzt die Zeit, die ihr habt! Kehrt um, ändert euch, tut Buße, flieht zu eurem Gott!
Buße tun? Umkehren? Was ist das eigentlich? Wahrscheinlich kennt das jeder und jede von uns in seinem Leben, dass man im Leben die falsche Richtung eingeschlagen hat. Jeder und jede hat schon Fehler gemacht und manchmal ja nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe und seinem Leben eine falsche Richtung gegeben. Manchmal sogar mit guter Absicht. Und hinterher merkt man, das war doch nicht richtig.
Da hat sich jemand in einen Konflikt mit seinen Geschwistern verrannt, das eine Wort gibt das andere, die eine fühlt sich ungerecht behandelt, der andere auch. „Wenn der mir noch einmal krumm kommt!" Es schaukelt sich auf. Man kommt nicht mehr aus seiner Verbohrtheit heraus. Manchmal weiß man dann gar nicht mehr, wie es eigentlich angefangen hat. Dann umkehren! Nicht mehr weiterrennen! Die Hand zur Versöhnung reichen! Das ist Buße tun.
Manchmal verrennt sich ein ganzes Volk. Als Deutsche wissen wir um unsere Geschichte. Manchmal verrennt sich sogar die ganze Menschheit. Wenn wir mit unseren Planeten weiterhin so umgehen, wenn wir bei der Erderwärmung nicht umkehren, dann wird es uns so gehen, wie den Tornadoopfern auf Haiti. So könnte man das Wort Jesu auch übertragen.
Die zweite Antwort Jesu ist unmissverständlich: Tut Buße! Kehrt um, wenn ihr auf dem Holzweg seid! Kehrt um zu Gott, zu seinen Geboten, kehrt um zur Mitmenschlichkeit, zur Versöhnung, zur Liebe!
Und dann erzählt Jesus den Leuten das Gleichnis vom Feigenbaum. Da hat ein Weinbauer einen Feigenbaum gepflanzt, natürlich um Feigen zu ernten. Drei Jahre sollte der Baum eigentlich schon Früchte tragen, aber auch im dritten Jahr ist keine einzige zu finden. Die logische Konsequenz: Den Baum kann man nur umhauen. Wenn nichts dabei raus kommt, weg damit. Doch da tritt der Gärtner auf den Plan: Mensch, Herr, lass dem Baum doch noch ein wenig Zeit. Ich werde mich kümmern, ich werde die Erde umgraben, ich werde ihn düngen. Lass ihm Zeit, lass ihm noch ein Jahr. – Wie gut, wenn man noch Zeit bekommt.
Wie geht das Gleichnis aus? Wir wissen es nicht. Mit der Bitte, der Fürbitte endet die kurze Geschichte. Aber man wird sicher nicht falsch liegen, wenn wir annehmen, dass der Bauer, dem Feigenbaum die Zeit noch lässt. Der Weinbergbesitzer ändert seinen Beschluss. Er kehrt um!
Eine erstaunliche Geschichte ist das. Denn den Zuhörern war klar, dass mit dem Weinbergbesitzer Gott gemeint ist. Gott wird zur Umkehr bewegt. Gott soll den Menschen Zeit lassen, doch noch gute Früchte zu tragen. Und wer tritt da für die Menschen ein? Wer ist der Gärtner? Jesus natürlich. Er, der zuerst so ernüchternde Antworten gibt, er tritt ein, dass uns noch Zeit zur Umkehr bleibt.
Das ist die dritte, und heute für uns auch die gute Antwort: Wir haben noch Zeit! Wir haben noch Zeit, zur Umkehr. Gott lässt uns Zeit dafür. Wie lange? Nun ja, jedem und jeder von uns lässt Gott Zeit bis zum letzten Atemzug. Zeit zur Umkehr, Zeit die Hände zu falten, zu beten: Gott, himmlischer Vater, nimmt dein Kind auf. Und Gott wird dich in die Arme schließen. Das hat Jesus mit all seinen Worten und seinem Leben und Sterben bezeugt. Wie den verlorenen Sohn oder auch die verlorene Tochter wird er dich in die Arme schließen.
Und wie lange haben wir noch Zeit als Menschheit auf diesen Planeten? Zeit zur Bewahrung unserer Erde? Zeit, um Frieden zu machen auf dieser Welt? Ich weiß es nicht! Ich kann nur sagen, dass wir die Zeit, die wir jetzt haben, auch zur Umkehr nutzen sollten. Es ist nicht gut, Zeit verstreichen zu lassen. Am besten fängt jeder bei sich selber an. Und ganz nebenbei gesagt: hoffentlich auch Mr. Trump.
Buß- und Bettag feiern wir heute. Wir müssen erstens einsehen, wir sind nicht weniger schuldig, nicht besser als die andern. Wir werden zweitens aufgefordert umzukehren zu Gott und seinen Geboten. Und wir dürfen drittens hören: dass Gott in seiner Barmherzigkeit uns dazu Zeit gibt. Gott sei Dank.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Pfarrer Norbert Heinritz am 16.11.2016