Ihr seid Bürger im Himmel - Predigt am 30.10.2016 von Pfr. Norbert Heinritz

Liebe Gemeinde,

der 30. Oktober 2016 ist ein besonderer Tag. Ja, dieser ganz gewöhnliche Herbsttag ist für die evangelische Kirche ein ganz besonderer Tag. – Warum? – Wegen dieses Buches! Der Bibel. Heute am 30. Oktober wird offiziell die neue revidierte Lutherübersetzung den evangelischen Gemeinden zum Gebrauch übergeben. Mit einem Gottesdienst in Eisenach wird das gefeiert. Ein guter Auftakt, ein erster herausragender Höhepunkt zum 500. Reformationsjubiläum, das wir in den kommenden 12 Monaten feiern werden.

Eine revidierte Lutherübersetzung, das passt natürlich sehr gut zum Reformationsjubiläum. Eines der Grundprinzipien Martin Luthers und der Reformation war ja das bekannte „sola scriptura" – allein die Schrift. Das heißt: Hier, das Wort Gottes, das Bibelwort ist die Richtschnur für unser Reden und unser Handeln. Am Bibelwort müssen wir uns immer wieder messen lassen und unsere Haltungen und Einstellung daran orientieren. Christsein geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern immer auf dem Fundament dieser biblischen Botschaft.

Und diese Botschaft muss verständlich sein! So hatten in den vergangenen Jahren rund 70 Experten den Auftrag, die revidierte Luther-Übersetzung aus dem Jahr 1984 zu überarbeiten. Ein ziemlicher Aufwand, weil es auch ziemlich wichtig ist.

Drei wesentliche Ziele wurden bei dieser Revision verfolgt:
1. Die Genauigkeit, mit der man sich am hebräischen und griechischen Urtext orientierte und neueste wissenschaftlich Erkenntnisse beachtete.
2. Die Verständlichkeit, weil sich Sprache weiterentwickelt. Z.B. steht jetzt im Text statt „Wehmutter" (wer versteht das schon noch!) das für uns geläufige Wort „Hebamme".
3. Die Ausdruckskraft Martin Luthers sollte auch wieder deutlich zu tragen kommen. So hat man manche Modernisierung der Version von 1984 wieder zurückgenommen.

Von den rund 31.000 Versen des Alten und Neuen Testaments haben rund 12.000 Verse, also knapp 40 Prozent, eine Änderung erfahren. Mal wurde nur die Zeichensetzung geringfügig angepasst, mal wurden auch einzelne Verse vollständig neu übersetzt.

Es ist sehr interessant: Die Anpassungen kann man auch in unserem heutigen Bibelwort erkennen. Im „aktuell" ist noch die Version von 1984 abdruckt. Ich lese nun unseren Bibeltext aus dem Philipperbrief aus der neuen, aktuellen Lutherübersetzung. Achten Sie mal auf die Unterschiede!

17 Ahmt mit mir Christus nach, Brüder und Schwester, und seht auf die, die so wandeln, wie ihr uns zum Vorbild habt. 18 Denn viele wandeln so, dass ich euch oft von ihnen gesagt habe, nun aber sage ich's auch unter Tränen: Sie sind die Feinde des Kreuzes Christi. 19 Ihr Ende ist die Verdammnis, ihr Gott ist der Bauch und ihre Ehre ist in ihrer Schande; sie sind irdisch gesinnt. 20 Wir aber sind Bürger im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus, 21 der unsern geringen Leib verwandeln wird, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe nach der Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann.

Haben Sie die Unterschiede gemerkt? Kleine, aber manchmal doch bedeutende Unterschiede.

Worum geht es in unserem heutigen Bibelwort? In unserem Abschnitt aus dem Philipperbrief geht es um die Frage: Wie leben wir als Christen eigentlich in dieser Welt? Eine Frage, die damals genauso drängend und aktuell war wie heutzutage. Damals waren die Christen eine kleine religiöse Splittergruppe im römischen Staat und mussten mit Ausgrenzung, Abneigung, Hass und Nachteilen rechnen. Wie soll man da als Christ leben? Heute leben wir in einem christlich geprägten, aber zunehmend säkularen Staat. Was heißt es da, Christ zu sein?

Drei Antworten gibt Paulus in diesen kurzen Bibelabschnitt:

1. Die erste Antwort: Unseren Lebenswandel sollen wir an guten Vorbildern ausrichten. Gute Vorbilder. Wer war oder ist Ihnen ein Vorbild im Glauben? Das können herausragende Christen sein, die einen beeindrucken: Martin Luther King oder Dietrich Bonhoeffer. Vielleicht unser Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Das können aber auch ganz einfache Christen sein: Die Nachbarin, die ihren Glauben voller Gelassenheit lebt; die Oma, die einem das Gottvertrauen mitgegeben hat; oder – auch das soll vorkommen – die Pfarrerin oder der Pfarrer.

Unseren Lebenswandel sollen wir an guten Vorbildern ausrichten. So schreibt es Paulus an seine geschätzte und geliebte in Gemeinde in Philippi. Sehr interessant, hier die Übersetzungen zu vergleichen. Im bisherigen Luthertext heißt es: Folgt mir, liebe Brüder, und seht auf die, die so leben, wie ihr uns zum Vorbild habt. Paulus stellt sich selber als Vorbild da. Es ist gut, wenn Wort- und Gemeindeführer Vorbilder sind. In der neuen Übersetzung heißt es allerdings: Ahmt mit mir Christus nach, Brüder und Schwester. Nicht nur, dass jetzt auch die Schwestern genannt werden – Frauen werden im Philipperbrief ganz konkret als Adressaten erwähnt: Evotia und Syntych – es verändert sich auch die Vorbildschaft: Ahmt mit mir Christus nach. Jetzt ist Christus das Vorbild. Beide Übersetzungen sind möglich und man merkt, wie sich die Nuancen verschieben.

Unseren Lebenswandel sollen wir an guten Vorbildern ausrichten. Natürlich ist er, Jesus, unser Herr, unser erstes und wichtigstes Vorbild, wenn es darum geht, in dieser Welt als Christ zu leben. Auf ihn gilt es immer wieder zu sehen!

2. Die zweite Antwort ist eine Warnung: Passt auf, dass euch die irdischen Dinge, euer Besitz, eure Aufgaben nicht auffressen, so dass kein Platz mehr für den Glauben ist! Heutzutage eine ganz wichtige Warnung. Das kennt wahrscheinlich jeder von uns: Was nimmt uns nicht alles in Beschlag und am Ende ist kein Platz mehr für Gott!

Paulus hat eine drastische Wortwahl für solche Leute: Ihr Gott ist der Bauch. Also Essen und Trinken, Spaß und Vergnügen, auch Arbeit und Erfolg kann es sein, das irdische Leben halt. Paulus nennt sie zugespitzt die Feinde des Kreuzes Christi. Sie sind irdisch gesinnt. Wahrscheinlich hatte er Leute vor Augen, die die Gemeinde wieder verließen, wenn es so weit kam, als Christen materielle und gesellschaftliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

Wir müssen uns heute fragen lassen: Sind wir nicht auch manchmal sehr irdisch gesinnt? Wie sagt Jesus: Sorgt nicht: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.

3. Und die dritte Antwort auf die Frage: Wie leben wir als Christen in dieser Welt? Die dritte Antwort lautet: Eure Heimat ist nicht hier auf dieser Welt, sondern oben im Himmel. Das ist die großartige Botschaft, die Paulus für die Philipper hat, das Evangelium, die gute Nachricht auch für uns.

Eure Heimat ist nicht hier auf dieser Welt, sondern oben im Himmel. Wir haben ein Ziel, das weit über diese Welt hinausreicht. Es muss für uns Christen hier auf Erden nicht alles aufgehen. Es müssen sich nicht alle Wünsche und Sehnsüchte hier auf Erden erfüllt werden. Wir müssen uns hier nicht mit aller Mühe unser Glück, unsere Anerkennung, unsere Liebe erarbeiten. Wir sind bereits Bürger einen andern Welt.

Wieder ein kleiner Unterschied in der Übersetzung. Bisher war vom Bürgerrecht im Himmel die Rede. Unser Bürgerrecht ist im Himmel. So als wenn wir ein Anrecht auf etwas in der Zukunft hätte. Jetzt ist deutlicher und klarer übersetzt: Wir sind Bürger im Himmel. Wir sind es bereits jetzt. Wir gehören bereits jetzt zu Gottes neuer Welt. Wie großartig! So ähnlich hat es übrigens Luther schon in der ersten Ausgabe 1522 formuliert: Unser burgerschafft aber ist ym hymel.

Wir sind gewissermaßen Reichsbürger einer ganz anderen Art: nicht mit Waffen oder sonderbaren rechten Vorstellungen. Sondern Bürger des himmlischen Reichs voller Glaube, Hoffnung, Liebe.

Wie leben wir Christen in dieser Welt? So dass wir ganz und gar in dieser Welt sind und in und für die Welt, glauben, hoffen, lieben und dabei doch wissen, wir sind nur Gäste hier auf Erden, ganz und gar Bürger einer anderen Welt.

Wie leben wir als Christen in dieser Welt? Dass wir nicht alles so todernst nehmen. Wir stehen auf der Seite des Lebens. Was wir hier erleben, ist immer nur das Vorletzte. So gesehen kann man nur wundern, was da manchmal so wichtig genommen wird.

Wie leben wir als Christen in dieser Welt? Im Evangelium für diesem Sonntag sagt Jesus: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist. Dem Kaiser gehören also Steuern und Geld, Gott aber unser Seele und unser Gehorsam. Jesus wollte nicht, dass wir in dieser Welt aufgehen, er wollte aber auch nicht auch nicht, dass wir ihr entfliehen. Genau dazwischen leben wir als Christen. Unsere christliche Aufgabe ist es, in dieser Welt, wo wir gebraucht werden, Verantwortung zu übernehmen, auch in der Politik für Gerechtigkeit und für die Armen und Notleidenden einzutreten, dabei aber christlich und nicht irdisch gesinnt zu sein. Und wenn es drauf ankommt, wenn mal wieder einmal irgend so ein Verrückter die Macht übernehmen sollte, dann Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.

Wie leben wir als Christen in dieser Welt? Drei Antworten aus unserem Bibelwort heute: 1. Richtet euren Lebenswandel an guten Vorbildern aus, zu allererst an Jesus, unserem Herrn! 2. Lasst euch nicht von eurem irdischen Besitz und von euren Aufgaben auffressen! Das lohnt sich nicht. 3. Macht euch klar: ihr seid Gäste hier auf Erden und längst schon Bürger einer ganz anderen großartigen Welt, Bürger im Himmel. Ein Leben also, das weit über unsere irdische Begrenztheit hinausschaut. Gott sei Dank.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Pfarrer Norbert Heinritz am 30.10.2016