Neujahrspredigt zur Jahreslosung 2016 von Pfr. Norbert Heinritz

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Liebe Gemeinde, wie hat bei Ihnen das neue Jahr 2016 angefangen? Hoffentlich in einer schönen Runde mit lieben Menschen. Vielleicht auch allein zuhause, ruhig und bedächtig. Auch das kann ein schöner Anfang des neuen Jahres sein. Und der eine oder andere schläft sich ja auch ins neue Jahr hinein. Ich weiß nicht, wie es Ihnen zum Anfang dieses neuen Jahres geht. Ich merke, dass ich mit mehr Sorgen und Fragen als sonst in dieses Jahre gehe. So viel, was mich in den letzten Monaten beschäftigt hat und was ich auch mit ins neue Jahr nehme.

Wie wird es weitergehen mit den Flüchtlingen in unserem Land? Wie werden wir sie in unsere Gesellschaft integrieren? Eine große Herausforderung.

Wie wird es weitergehen im Nahen Osten, mit Syrien und dem sogenannten Islamischen Staat? Gewalt und Krieg können ja nicht die Lösung sein.

Wie wird es mit dem Terror weitergehen? Wird es  Anschläge auch bei uns geben? Die Angst war ja in der vergangenen Nacht in München deutlich zu spüren und zu sehen.

Wie geht es weiter mit den populistischen Stimmungsmachern in unserem Land, in Europa und in den USA? Dort sind heute Präsidentschaftswahlen. Gewinnt vielleicht sogar einer mit markigen, in unseren Ohren fast schon rechtsradikalen Sprüchen die Wahl?  Die Stimmungsmacher und Populisten machen mir viel mehr Sorgen als die Flüchtlinge, die zu uns kommen.

Und wie wird es weitergehen mit unseren Klima? Null Grad am Nordpol hat es gerade. Ein bisschen kälter als bei uns, aber eigentlich sollten es 40 Grad weniger sein.

All diese Fragen bewegen mich – und sicherlich nicht nur mich, sondern viele von Euch. Und dann mischen sich bei dem einen und der anderen auch noch die persönlichen Sorgen ein, Sorgen in der Partnerschaft, mit den Kindern, mit der Gesundheit oder mit was auch immer. Ja, was wird es bringen, das Jahr 2016?

Mitten hinein in unsere Gedanken und Sorgen ertönt die Jahreslosung für dieses Jahr 2016. Ein wunderschöner biblischer Vers aus dem Jesajabuch: Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Jes 66,13) Sofort entstehen Bilder in meinem Kopf. Da sehe ich das Kind, das mit aufgeschlagenen Knien weinend zur Mutter rennt. Sie nimmt dem Bub auf den Schoß bläst auf die Schürfwunden und sagt: „Heile, heile Segen, morgen gibt es Regen, übermorgen Schnee, dann tut es nimmer weh!“ Und schon ist es besser. Das ist Trost. Da sehe ich vor meinem inneren Auge das junge Mädchen, das vor Liebeskummer heulend auf dem Bett liegt. Die Mutter kommt, streicht ihr über den Rücken und sagt: „Ich kenne das. Das tut weh, aber vergeht schon wieder.“

Da lese ich die Erfahrung eines gewissen Dr. Henry Cloud, amerikanischer Psychologe und Autor, der davon berichtet, wie er als Kind im sechsten Schuljahr wegen Drüsenfieber über einen Monat lang in ein Krankenhaus musste, das zweihundert Meilen entfernt war. Er schreibt:„Ich versäumte in der Schule so viel, dass fraglich war, ob ich das würde aufholen können, aber als ich zurückkam, versuchten wir es. Schon bald wollte ich schier nicht mehr. Die Müdigkeit von der Krankheit, der volle Stundenplan, die viele Nachholarbeit, es war alles zu viel. Für meine Mutter muss es die große Krise gewesen sein. Sie wollte doch nicht, dass ich ein ganzes Schuljahr wiederholen musste, mit neuen Klassenkameraden und dem Stigma des Versagers. Dann kam der Morgen, an dem ich mich für den nächsten lust- und kraftlosen Schultag fertig machte. Als ich mich anzog und das Hemd halb zugeknöpft hatte, erstarrte ich buchstäblich und blieb stehen wie eine Statue. Der Berg, der da vor mir lag, er schien einfach zu hoch. Ich weiß nicht, wie lange ich so stand, aber dann kam meine Mutter herein.

‚Mach dich fertig, du musst doch zur Schule.‘ – ‚Ich will nicht zur Schule‘, sagte ich, ‚ich kann nicht mehr.‘ Was dann geschah, werde ich nie vergessen. Meine Mutter legte ihren Arm um mich und sagte: ‚Ich weiß doch. Manchmal fühle ich mich auch so und möchte am liebsten nicht zur Arbeit fahren.‘ Die Welt schien stillzustehen. ‚Was?‘, fragte ich, ‚du möchtest manchmal am liebsten nicht zur Arbeit?‘ – ‚Ja. Manchmal, wenn ich mich nicht gut fühle, ist es einfach zu viel.‘ – ‚Aber dann fährst du doch.‘ Sie nickte. In diesem Augenblick machte es irgendwo ‚Klick‘. Ich war noch genauso müde, frustriert und krank, aber ich dachte nicht mehr: Das schaff ich nicht, sondern: Das schaff ich! Ich hatte wieder Mut, Ausdauer, Hoffnung; meine Mutter hatte mir ihre gegeben.“ Das ist Trost. Es war nicht die Stärke der Mutter, die getröstet hatte, sondern das Eingeständnis ihrer Schwachheit. Da ist jemand anders, sie kennt diese Situation. Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Das ist die Überschrift für dieses Jahr. Gott kennt unsere Situation. Er will uns Mut machen: Das schaffst du! Das schafft ihr!

Zwei Aussagen sind mir zu unserer Jahreslosung in den Sinn gekommen, die mit Trost und Mut zu tun haben. Da ist einmal dieses schöne Gebet, das sicher viele von Ihnen kennen:

Herr, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die  ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.

Ein so treffendes Gebet. Vielleicht wirst du 2016 Dinge erleben, Schicksalsschläge erfahren, die du nicht ändern kannst. Das Zerbrechen einer Beziehung, das Erleiden einer Krankheit, den Verlust eines Menschen oder was auch immer. Dann die Kraft haben und die Gelassenheit, das hinzunehmen. Dann den Trost Gottes erfahren, der dich wie ein Mutter zärtlich und liebend in den Arm nimmt. Das brauchen wir. Und es wird 2016 auch Dinge geben, die du tatkräftig angehen wirst, die du ändern und schaffen kannst. Herausforderungen, die dir begegnen werden. Eine neue Aufgabe, eine neuer Start, ein schwieriges Problem. Dann Gottes Trost erfahren, der dir wie eine Mutter Mut macht und dir den Rücken stärkt. Das brauchen wir.

Herr, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die  ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.

Und die zweite Aussage, die mich in diesen Tagen bewegt hat, sind die Worte aus dem Weihnachtsevangelium: Fürchtet euch nicht! So aktuell wie an diesem Jahreswechsel sind mir diese Engelsworte noch nie erschienen.

Fürchtet euch nicht vor den Menschen, die zu euch kommen. Nehmt sie auf, helft! So wie ihr in den Wald hineinschreit, so wird es zurückkommen. Wir schaffen das!

Fürchtet euch nicht angesichts der Weltlage, angesichts von Terror und Krieg. Lasst euch euer Zusammenleben nicht von verblendeten Fanatikern diktieren, die euch Angst einjagen und euch die Freiheit nehmen wollen! Das würde denen gerade so passen.

Fürchtet euch nicht, vor den rechten Schreihälsen, sondern trete ihrem Gedankengut mutig entgegen, wo du auch bist, beim Stammtisch, in der Familie, manchmal sogar in der eigenen Seele.

Fürchtet euch nicht angesichts der Klimaveränderung. Tu einfach etwas! Überlege dir, ob du wirklich für ein paar Tage nach Spanien jetten musst, ob du wirklich jeden Tag Fleisch auf dem Teller brauchst, ob du nicht einfach mal im neuen Jahr das Auto stehen lässt und das Rad nimmst. Oder wie auch immer …

Fürchtet euch nicht. Angst ist kein guter Ratgeber. Vertraut unseren Gott. Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Das ist die wunderbare Überschrift für dieses Jahr.

Wie tröstet uns Gott? Durch andere Menschen, die er uns schickt, die für uns da sind. Manchmal ganz überraschend, gerade der, gerade die, vom der, von der ich es nicht gedacht hätte.

Wie tröstet uns Gott? Dadurch, dass du immer und überall mit ihm reden kannst. Wenn ich gestresst oder niedergeschlagen bin, dann schicke einfach ich ein Gebet zu Himmel: „Lieber Gott, jetzt bist du dran!“ Das tröstet. Ich mache das Meine so gut es geht, den Rest muss ich anderen und ihm überlassen.

Wie tröstet uns Gott? Durch sein Wort. Es ist ja irre, was in der Bibel alles zu finden ist. So viele kraftvolle Worte wie unsere Jahreslosung. Es ist nur an uns, sie zu hören und ihnen zu vertrauen.

Wie tröstet uns Gott? Durch diese schöne Vorstellung, die ich mit ins neue Jahr nehme, von Gott wie eine Mutter, die ihr Kind in den Arm nimmt und sagt: heile, heile Segen. So ist unser Gott.

Ja, Gottes Segen möge euch, möge uns im kommenden Jahr wie einen Schutzmantel umgeben. Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.