Predigt am 1. Sonntag nach Trintitas (18.6.2017) zu Joh 5,39-47 von Pfr. Norbert Heinritz

Liebe Gemeinde,

es gibt immer wieder Herausforderungen im Leben. Und das ist gut so. Herausforderungen sind da, um sie zu bestehen. Herausforderungen können einen motivieren. Herausforderungen können einen aber auch auf die Probe stellen, eben herausfordern.

Auch Pfarrerinnen und Pfarrer haben immer wieder mal so eine Herausforderung beim Predigtvorbereiten. Ich meine da konkret unser heutiges Bibelwort. Als ich es das erste Mal gelesen habe, hab ich mir gedacht: Was sollst du denn dazu sagen? Kannst du den Text überhaupt predigen? Aber bevor ich etwas dazu sage: Hört erst mal selbst!

Jesus spricht da zu den Umstehenden:
(Predigttext: Johannes 5,39-47)

39 Ihr sucht in den Schriften, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie sind's, die von mir zeugen; 40 aber ihr wollt nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hättet. 41 Ich nehme nicht Ehre von Menschen an; 42 aber ich kenne euch, dass ihr nicht Gottes Liebe in euch habt. 43 Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer kommen wird in seinem eigenen Namen, den werdet ihr annehmen. 44 Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht? 45 Meint nicht, dass ich euch vor dem Vater verklagen werde; der euch verklagt, ist Mose, auf den ihr hofft. 46 Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. 47 Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?

Liebe Gemeinde, wie ist es euch beim Hören dieser Worte ergangen? Vielleicht habt ihr euch gedacht: Was hat er denn, der Heinritz? Endlich mal deutliche Worte! Gut so! – Vielleicht haben euch aber auch diese massiven Vorwürfe und Anklagen gestört. Das war es, was mir als erstes im Ohr gellte: Dieser vorwurfsvolle, anklagende Ton.

Jesus, selber Jude, diskutiert da mit seinen umstehenden jüdischen Brüdern (Schwerstern werden damals wohl keine dabei gewesen sein). Er wirft ihnen vor, dass Sie es eigentlich besser wissen müssten. Wenn sie die Schriften des Alten Testaments richtig lesen würden, würden sie merken, dass es sich um ihn, Jesus, dreht. Er wirft ihnen vor, dass sie keine Liebe haben, es im Grunde einfach ganz kapieren und völlig auf dem Holzweg sind.

Im Johannesevangelium ist das ein ganz eigenes Thema: Jesus und die Juden. Wir wissen aus der Geschichte, dass solche Bibelworte auch antijüdisch und antisemitisch ausgelegt werden können - mit all den damit verbundenen schrecklichen Folgen. Wir wissen heutzutage auch: Das verbietet sich ein für alle mal.

Eines habe ich im Leben gelernt: Wenn du vorwurfsvoll mit dem Zeigefinger auf andere zeigst, dann denke dran, dass drei Finger auf dich zeigen.

Wie also dieses Bibelwort auslegen? Mich einfach davor drücken und ein anderes für diesen Sonntag nehmen. Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm (1. Joh 4,16). Was für ein schöner Text! Aber Nein! Drücken will ich mich nicht. Was dann?

Ich habe mir gedacht: Was im Miteinander von Menschen ganz gut ist, könnte mir auch bei unserem Text helfen. Nämlich: Wenn einer Vorwürfe macht, mal zu sehen, was dahinter steckt. Worum geht’s da denn eigentlich? Was wird hier eigentlich verhandelt?

Diese Frage habe ich also dann unserem Bibelwort und damit ja auch Jesus gestellt. Worum geht es dir, Jesus eigentlich? Räumt man mal den scharfen Ton und die Vorwürfe weg, dann kommt man auf die wesentliche Frage: Worauf kannst du dich eigentlich in deinem Leben verlassen? Ich möchte unsere Bibelwort unter dieser Frage betrachten und auslegen: Jesus streitet sich mit den umstehenden Juden darüber, worauf man sich im eigentlich im Leben verlassen kann?

Also: Worauf verlässt du dich? Was ist deine Lebensgrundlage? Eine Frage, die sich immer im Leben stellt, ob man nun jung ist und das Leben vor sich hat oder schon etliche Lenze zählt. Worauf verlässt du dich?

Mal ein paar Vorschläge von mir, in denen du dich vielleicht wiederfindest. Auf den Zusammenhalt in der Familie, dass da Menschen sind auf die du wirklich zählen kannst. Auf gute Freunde, die hinter dir stehen wenn es darauf ankommt. Auf das, was du dir erarbeitet hat: Haus, Garten, Geld auf dem Konto. Auf das, was dir zusteht: Gehalt, Rente, Taschengeld. – Oder persönlicher: Auf deine Fähigkeiten und Lebenserfahrung; was du alles bisher gelernt und erreicht hast. Auf die Liebe deiner Frau oder deines Mannes. – Oder einfach darauf, dass morgen die Sonne schon wieder aufgeht. Auf die Bremsen deines Autos oder auf das Fenstergitter, das vor Einbrechern schützen will und mit dem Spruch beworben wird: „Worauf du dich verlassen kannst!“

Wir verlassen uns auf so vieles. Wir können nur so leben, dass wir uns auf andere und anderes verlassen. Und doch kommen wir ins Nachdenken. Worauf können wir uns letztlich, ganz am Ende, ganz unten, als unsere eigentliche Grundlage im Leben verlassen?

Jesus sagt zu den Umstehenden: Ihr sucht in den Schriften, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie sind's, die von mir zeugen; 46 Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. 47 Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?

Die Frage: „Worauf verlässt du dich?“ heißt im Grunde: „Woran glaubst du?“ Jesus verweist auf die Heiligen Schriften, die Bibel. Eigentlich läge es nahe zu sagen: Ja, genau, das ist die Basis. Das ist die Grundlage. Daran glauben wir. Darauf verlassen wir uns.

Aber ist es euch schon einmal aufgefallen? In unserem Glaubensbekenntnis ist von der Bibel nicht die Rede. Es heißt da nicht: Ich glaube an die Bibel, ich glaube an die Heilige Schrift. Und auch in dem schönen, modernen, neuen Glaubenslied (088: Ich glaube an den Vater), das wir vorhin gesungen haben, heißt es nicht: Ich glaube an die Bibel, ich glaube an die Heilige Schrift!

In unserer ganzen 2000-jährigen christlichen Geschichte war immer klar: wir glauben nicht an ein Buch, an irgendwelche Buchstaben, sondern an den lebendigen Gott, der sich uns in Christus zeigt und unter uns im Heiligen Geist wirkt. Vater, Sohn und Heiliger Geist.

Die heiligen Schriften der Bibel vermitteln uns diesen Glauben, sie sind menschliches Zeugnis davon, das in uns Glauben wecken will, aber nicht Gegenstand unseres Glaubens selbst.

Ich will es mit einem Vergleich verdeutlichen. Wenn dir deine Frau oder dein Mann oder dein Kind, gerade in der Ferne weilend, eine SMS oder WhatsApp-Nachricht aufs Handy schickt – „Guten Morgen, ich liebe dich!“ – dann glaubst du doch nicht ans Handy, sondern freust dich an den Menschen, der dich liebt. Also: Wir glauben nicht an ein Buch, sondern an den lebendigen Gott, von dem wir darin erfahren.

Und wenn dann auf deinem Handy wegen diesem blöden Getippes „liebe“ statt mit „ie“ mit „bb“ geschrieben ist, und statt „dich“ „sich“ dasteht, weil das s auf der Tastatur direkt neben dem d liegt; wenn dann dort also steht „Ich libbe sich“, dann weißt du trotzdem, was damit gemeint ist. Mit anderen Worten: Auf die Botschaft kommt es an, auf das Evangelium nicht auf den Buchstaben.

So auch in der Bibel. In der Bibel steht vieles. Wenn man es darauf anlegt, kann man sogar Worte finden, die einen Krieg legitimieren. Die Kreuzzüge wurden mit Bibelworten untermauert und Judenhass auch.

Es hängt also davon ab, wie wir die Bibel lesen und auslegen. Martin Luther hat es auf die Formel gebracht: Was Christum treibet, das ist Gottes Wort. Jesus muss also immer in der Mitte stehen. Unser Bibelwort und Martin Luther sind da ganz nah beieinander: Dass die Schriften von ihm, von Jesus, zeugen, darauf kommt es an.

Damit sind zwei Grenzlinien gezogen. Auf der einen Seite zum biblizistischen Fundamentalismus, der sagt: alles, was in der Bibel steht, jedes Wort ist wahr und stimmt. Nein, wahr ist, was in der Bibel Jesus und die Liebe Gottes zum Leuchten bringt. Und was Christus und Liebe Gottes verdunkelt, das ist der Holzweg.

Auf der anderen Seite ist Grenzlinie da, wo das biblische Wort gar keine Rolle mehr spielt, wo ich nicht mehr höre, wo ich meine, Gottes Wort gar nicht mehr zu brauchen. Wenn ich nicht mehr in der Bibel lese, keine Predigten mehr höre, wie soll ich dann glauben? Dann ist auch keine Botschaft mehr da, kein Evangelium.

Nochmals mit dem Vergleich: Wenn ich mein Handy nicht mehr in die Hand nehme, wenn ich es nicht mehr einschalte und benutze, dann kann ich auch keine Nachrichten mehr lesen: „Ich liebe dich!“ So einfach ist das.

Jesus fordert in unserem heutigen Bibelwort die Zuhörenden auf: Hört auf meine Worte. Und er fordert eine Entscheidung. Das ist die eigentliche Herausforderung, die hinter dem vorwurfsvollen Ton steckt. Ihr wollt nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hättet. Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an. Es ist die Herausforderung, Jesus und seine Botschaft anzunehmen.

Worauf kannst du dich im Leben verlassen? „Verlass dich auf mich. Verlass dich auf Liebe Gottes!“ So könnte man Jesu Worte in unserem Bibelwort umschreiben. Denn Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, sagt Jesus im Johannesevangelium.

Worauf kannst du dich im Leben verlassen? Ein interessantes Wort: „sich verlassen“. Wenn man es wörtlich nimmt, heißt es: sich selbst loslassen, von sich selber  absehen und auf Jesus sehen. Darum hängt vorne in der Kirche er, der gekreuzigte Christus, und eben kein Spiegel. Wie viele Spiegel haben wir daheim rumhängen und wie wenig Kreuze! Wir bespiegeln uns so gerne.

„Sich verlassen“ im Glauben bedeutet: von sich selber weg und auf ihn sehen, ihn annehmen, im Vertrauen auf Gottes Liebe seinen Weg gehen. Das ist die eigentliche Herausforderung in unserem Bibelwort! Freilich eine ganz schöne Herausforderung. Schön und oft auch schwer. Eine Herausforderung nun nicht nur für den Prediger, sondern für jede und jeden von uns.

Herausforderungen sind da, um sie zu bestehen. Auch Bibelworte können so eine Herausforderung sein. Freilich könnte man noch viel mehr zu unserem Bibelwort sagen. Es lässt sich im Grunde ja immer viel mehr in einem Bibelwort entdecken, als man in einer Predigt verhandeln kann. Aber – wie wir sehen – es lohnt sich, auch schwierigen Texten nicht auszuweichen und darin zu suchen: Was Christum treibet. Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.