Liebe Gemeinde,
„Machtlos?“ – so lautet das Thema der diesjährigen Buß- und Bettagsinitiative unserer Landeskirche. Sie haben dazu dieses kleine Heftchen in der Hand.
„Machtlos?“ – das ist eine Frage, die viele in diesen Tagen bewegt. Mit Entsetzen haben wir die Geschehnisse in Frankreich verfolgt. 89 meist junge Menschen starben bei einem Rockkonzert. Unschuldige, junge Menschen, die ihr Leben vor sich hatten. Über 120 Tote waren es an diesem blutigen Freitagabend. Das Länderspiel gestern wurde abgesagt. Gott sei Dank, war es blinder Alarm. Und heute Morgen schon wieder die Nachricht: Tote bei einem Anti-Terror-Einsatz im Pariser Vorort Saint Denis: eine Frau soll sich in die Luft gesprengt haben.
Es ist erschütternd, was wir in diesen Tagen erleben. Fanatisierte Täter, die andere einfach umbringen, sich selbst in die Luft jagen, um andere mit in den Tod zu reißen. Das ist schwer zu verstehen.
Und dann eben diese Frage: Sind wir machtlos? Machtlos gegen Terror, der im Untergrund agiert? Machtlos gegen die Kaltblütigkeit von religiös Wahnsinnigen? Machtlos gegen Hass und Gewalt?
„Machtlos?“ – das Thema der Buß- und Bettagsinitiative von diesem Jahr stand ja schon viele Monate vor den Ereignissen dieser Tage fest. Als ich vor Wochen das erste Mal dieses kleine Heftchen in der Hand hielt und den Titel las, musste ich als erstes an unseren Herrn Jesus denke. Wenn jemand sich völlig der Machtlosigkeit auslieferte, dann doch er. Jesus, der nicht auf die Macht von Gewalt, von Einfluss, von Geld oder auch auf die Macht der Massen setzte. Jesus hatte viele Anhänger. Er hätte sich damals wehren können. Er hätte vielleicht sogar einen Aufstand gegen die Römer bewirken können. Sicher wären ihm viele gefolgt. Doch Jesus ging diesen Weg nicht.
Sein Weg führte durchs Leiden ans Kreuz. Hier im Zentrum unserer Kirche, hier auf dem Altar, an dem wir später das Heilige Abendmahl feiern werden, hier steht das Kreuz. Ein Gemarterter, Gefolterter, Geschundener und Hingerichteter steht im Zentrum unseres Glaubens. „Hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!“ (Mt 27,40), haben die Menschen unseren sterbenden Herrn Jesus damals verhöhnt. War er also machtlos?
Es nicht gerade unwesentlich, dass hinter dem machtlos ein Fragezeichen steht. Kein Ausrufenzeichen. Kein Doppelpunkt. Mit Bedacht ist ein Fragezeichen gewählt worden. Es gibt Situationen, die sehen machtlos aus, aber sie sind es nicht. Es gibt Lebenssituationen in denen fühlen wir uns machtlos, ohnmächtig, hilflos und doch sind wir es nicht. Die Macht liegt manchmal nur ganz woanders, als wir so vordergründig denken.
Die Römer kreuzigten Jesus, unseren Herrn, damals vor fast 2000 Jahren. Sie schlugen ihn mit der Macht ihrer Staatsgewalt brutal ans Kreuz und dachten, damit sei die Sache erledigt. Aber schaut her: Das römische Reich gibt es seit Jahrhunderten nicht mehr. Die Macht der Kaiser ist längst Geschichte. Doch Jesus und seine Botschaft sind lebendig bis zum heutigen Tag. Überall auf der Welt gibt es Christen, die ihm, unserem Herrn, nachfolgen. Wer hat da nun die Macht? Die Macht liegt manchmal ganz woanders, als wir so vordergründig denken.
Nehmen Sie ruhig mal das Impulsheft in die Hand! Auf der Titelseite sind zwei Hände dargestellt. Kräftig wirken sie, diese Hände. Sie sehen aus als gehörten sie einem Mann „in den besten Jahren“. Man traut ihnen zu, dass sie anpacken. Was tun diese Hände sonst? Ein Auto lenken, eine Anlage programmieren, Kranke untersuchen? Abends vielleicht eine Frau umarmen oder einem Kind die Tränen abwischen? Nur zwei gefaltete Hände sind zu sehen, sonst nichts. Jemand betet.
Machtlos? Das Gebet könnte eine Antwort sein auf die Frage, in der Titelzeile. Wie soll man das verstehen?
Sind wir machtlos, wenn wir beten? „Da hilft nur noch beten“, sagt der Volksmund, wenn offenbar alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind. Und im Mittelalter waren die gefalteten Hände eine Geste der Unterordnung. Wenn der Gefolgsmann den Vertrag von seinem Lehnsherrn entgegen nahm, musste er mit gefalteten Händen vor ihm knien.
Oder sind diese gefalteten Hände vielleicht ein Ausdruck von Stärke? Ja, Ihr habt richtig gehört: Ein Ausdruck von Stärke und Macht. Da holt sich jemand vielleicht gerade Kraft für das, was ansteht. Da besinnt sich jemand auf die größte Macht dieser Welt, auf Gott. Da lässt jemand sein Machen sein, bringt seine Hände zur Ruhe, und legt sich und sein Tun in Gottes Hände. Das ist kein Ausdruck von Schwäche, das ist ein Zeichen der Stärke. Die Hände falten, heißt Kraft sammeln. Im Gebet liegt eine große Macht.
Da denke ich wieder an Jesus, unseren Herrn. Bevor er seinen Weg der scheinbaren Machtlosigkeit geht, betet er im Garten Getsemane. Er betet, er ringt mit Gott, er ringt mit sich, welchen Weg er jetzt gehen muss. Nicht mein, sondern dein Wille geschehe! Es ist ja nicht ein Zeichen der Schwäche, dass Jesus vor diesem letzten schweren Weg die Hände faltet und mit seinem himmlischen Vater redet. Nein, er holt sich Gewissheit für den kommenden Weg. Er holt sich die Kraft, die er jetzt braucht. Er betet.
Machtlos? Worin liegt denn wirklich Macht? Die Macht liegt manchmal ganz woanders, als wir so vordergründig denken.
Im Gebet liegt eine große Macht. Da kann ich Kraft finden für die Herausforderungen im Leben.
In Worten liegt eine große Macht. Die Worte Jesu, seine Botschaft waren viel machtvoller als die Gewalt der Römer, weil sie die Herzen der Menschen erreichten.
Die Macht des Geistes, der Überzeugungen – wir schätzen sie meistens viel zu gering ein.
Und natürlich – das wichtigste überhaupt, auch wenn man es immer wieder in der Kirche hört – die Macht der Liebe. Die Botschaft Jesu von der Liebe Gottes konnte bei aller Gewalt in all den Jahrhunderten nicht zu schweigen gebracht werden. Die Liebe Gottes hat sogar den Tod besiegt. Was für eine Macht! Die Liebe, mit der wir uns untereinander begegnen, ist die Macht gegen die Übel dieser Welt.
Wer die Hände zum Gebet faltet vertraut sich dieser Macht an und ist also alles andere als machtlos. Er glaubt. Er vertraut Gottes Macht.
Martin Luther hat es so gesagt: „Der Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiss, dass er tausendmal dafür sterben würde. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen; das wirkt der Heilige Geist im Glauben.“
Machtlos? Sind wir wirklich angesichts des Terrors und der Gewalt von religiös verblendeten Wahnsinngien machtlos? Nein, ganz bestimmt nicht. Eines ist sicher: Sie werden mit ihrer Gewalt unsere Überzeugungen von einer freien, gewaltlosen Gesellschaft nicht besiegen können. Sie werden unseren Glauben, dass jeder Mensch wertvoll und jeder Mensch eine Würde hat, nicht besiegen können. Sie werden unseren Glauben an die Macht der Liebe, unser Vertrauen auf Jesus, unseren Herrn, nicht besiegen können. Wir sind nicht machtlos!
Ich bezweifle allerdings, ob wir tatsächlich mit Bomben einen Sieg erringen werden. Die letzten Jahrzehnte zeigen doch in Afghanistan, im Irak: einfach so mit Militär lässt sich kein Sieg erreichen. Was wir brauchen, ist die Macht des Wortes und die Macht der Überzeugungen. Der Terror ist doch nur dann zu besiegen, wenn wir es schaffen, die Menschen davon zu überzeugen, dass Gewalt, Mord und Totschlag kein Weg ist, auf dieser Welt zusammenzuleben.
Dazu braucht es Kraft, große innere Kraft. Dazu braucht es den Widerstand gegen den Hass - vor allem im eigenen Herzen. Dazu braucht es das Gebet. „Die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat. Und was der Beter Hände tun, geschieht nach seinem Rat“, dichtete Jochen Klepper 1938. Wie wahr! Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.