Liebe Gemeinde,
Heilig Abend vor genau 100 Jahren. Die Welt liegt im Krieg. An der Westfront kämpfen die deutschen Soldaten. „Zu Weihnachten seid ihr wieder zu Hause“, hatten die Generäle im August 1914 versprochen. Inzwischen waren an der Westfront bereits 800.000 Soldaten gefallen. Der Rest hockte verlaust und verfroren in den Schützengräben.
Die deutsche Armeeführung hatte sich mittlerweile auf einen längeren Stellungskrieg eingestellt. Die Front war festgefahren. Zuhause warteten die Frauen, Freundinnen und Eltern vergeblich auf ihre Männer.
Immerhin: Ein bisschen Weihnachten soll sein, dachten sich offenbar Heerführer auf beiden Seiten. Die Deutschen lieferten Weihnachtsbäumchen an die Front, die Kerzen bereits an den Zweigen. Päckchen kamen von den Lieben zuhause. Die britischen Soldaten erhielten ein Päckchen des Königs mit einer Princess Mary Box, in der sich Schokolade, Gebäck, Zigaretten, Tabak und eine Grußkarte der Prinzessin befand.
Wenigstens ein bisschen Weihnachten sollte sein, dachten sich offenbar die Heerführer. Was daraus wurde, damit hatte keiner der Generäle gerechnet. Es wurde wirklich Weihnachten! Es brach der Frieden aus. An weiten Teilen der Westfront wurde mit dem Schießen aufgehört. In den Schützengräben wurden Weihnachtslieder gesungen. Stille Nacht, heilige Nacht auf der einen Seite, Silent night, holy night, auf der anderen. An vielen Stellen verließen die Soldaten ihre Stellungen, Geschenke wurde ausgetauscht, Kerzen im Niemandsland angezündet. Die Waffen schwiegen und Weihnachtslieder erklangen.
In einem englischen Bataillonsbuch wird berichtet, wie plötzlich ein halbes Dutzend deutscher Soldaten ohne Waffen aus den Schützengräben auftauchten: „Don't shoot. We don't want to fight today. We will send you some beer.” - „Nicht schießen. Wir wollen heute nicht kämpfen. Wir schicken Euch Bier rüber.“ Und dann wurde ein Fass Bier durchs Niemandsland gerollt. Die Engländer schickten im Gegenzug Christmas Pudding zu den Deutschen.
Es wird berichtet, dass an andere Stelle Engländer und Deutsche zusammen einen Weihnachtsgottesdienst feierten. Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirte“ wurde vom deutschen Feldgeistlichen auf Englisch und von einem englischen Studenten auf Deutsch gelesen. Sogar Fußballspiele zwischen Engländern und Deutschen soll es im Niemandsland zwischen den Schützengräben gegeben haben.
Weihnachtfrieden mitten im Krieg. Die Soldaten hörten zu auf zu kämpfen, meistens bis zum 2. Feiertag, vereinzelt sogar bis in den Januar hinein.
Die Weihnachtsbotschaft hat damals Frieden geschaffen in einem grausamen und sinnlosen Krieg. Die Ruhe der Stillen Nacht hat Granaten und Geschütze verstummen lassen. Aus Feinden wurden Brüder. Das Bild des kleinen Kindes in der Krippe war stärker als die Feindbilder, die sich in ihren Köpfen eingenistet haben. Solche Kraft kann Weihnachten entfalten.
Und Weihnachten heute, 2014, einhundert Jahre später? Wieder bestimmen Bilder von Kriegen unsere Nachrichten. Der Krieg in der Ukraine, die schlimmen Bilder aus dem Nahen Osten, aus Syrien, aus dem Irak. Wie sehr wünschte ich mir einen dauerhaften Weihnachtsfrieden auf dieser Welt. Ich frage mich wie viele andere auch: Lernen wir Menschen denn wirklich nichts dazu? Müssten wir nicht längst wissen, dass Waffen, Krieg und Gewalt keine Lösung sind? Es kann einem schon Angst machen, wenn man sieht, wie unbelehrbar wir Menschen sind.
Da haben wir heute diese Weihnachtsbotschaft so nötig wie eh und je: Fürchtet euch nicht! denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr. Ein Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Fürchtet euch nicht! Mit diesem kleinen Kind in der Krippe fängt der Frieden Gottes an. Ganz klein, ganz unten. Das ist der Weg Gottes. Nicht mit Macht und Gewalt kommt er auf die Erde, um endlich mal richtig aufzuräumen, nicht in einem Palast kommt er auf die Welt, um als Großer die Herrschaft zu erreichen. Nein, als kleines Kind von unbedeutenden Eltern in einem Stall zwischen Ochs und Esel kommt Gott in unsere Welt. Das ist der Weg Gottes. Das ist der Weg des Friedens.
Der Frieden, liebe Gemeinde, beginnt nicht da oben bei den andern. Der Friede beginnt unten, im Kleinen, hier bei einem jeden von uns, hier im Herzen. Der Friede beginnt, wenn die Weihnachtsbotschaft von der Liebe Gottes hier unser Herz erreicht. Wenn Christus in dir zur Welt kommt. Dann fängt der Frieden an.
Der Friede beginnt, wenn wir im andern unseren Bruder und unsere Schwester sehen, auch in den Nachbarn, der uns auf die Nerven geht: auch er, unser Bruder. Auch in der Kollegin, die uns immer wieder Schwierigkeiten macht: auch sie, unsere Schwester. Auch der Großkopferte, der sein Herz viel zu sehr ans Geld hängt, auch er, unser Bruder. Auch die Demonstrantin, die meint bei Pegida mitlaufen zu müssen: auch sie, unsere Schwester. Auch der Flüchtling, der hier bei uns sein Leben rettet: unser er, unser Bruder. Ja, auch er ist unser Bruder, liebe Gemeinde, selbst wenn er Muslim ist. Die Nächstenliebe macht doch nicht an der Herkunft oder Religion halt.
Im Herzen fängt der Friede an. In deiner Haltung deinen Mitmenschen gegenüber, dass du in ihm Bruder und Schwester siehst. Das heißt nicht, dass du alles gut heißen musst, was andere tun. Natürlich ist es nicht gut, wenn die Kollegin einen ständig Hindernisse in den Weg legt. Natürlich ist es nicht gut, wenn die Schere zwischen arm und reich in unserem Land größer wird. Natürlich ist es nicht gut, wenn mit einer an den Haaren herbeigezogenen, angeblichen Islamisierung Ressentiments und Ängste geschürt werden. Natürlich ist das alles nicht gut. Das kann man ruhig auch laut sagen. Und trotzdem sind sie alle unsere Brüder und Schwestern.
Im Herzen fängt der Friede an. Und mit den Händen macht er weiter. Wenn wir einander die Hände zur Versöhnung reichen oder wenn wir mit anpacken, wo Hilfe gebraucht wird. Wie gut, dass sich zum Beispiel hier zwei Dutzend Menschen für die Asylbewerber und deren Integration ganz praktisch einsetzen. Das hilft zum Frieden unter uns.
Weihnachten heute 2014 – Wir hören die Weihnachtsbotschaft: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. Wisst Ihr, was ein riesengroßes Geschenk ist, nicht nur an Weihnachten, sondern überhaupt - Gewissermaßen auch ein Weihnachtswunder? Im kommenden Jahr können wir auf 70 Jahre Frieden auf deutschen Boden zurückblicken. Das hat es noch nie vorher in der Geschichte gegeben. Das ist ein Geschenk, das man nicht hoch genug schätzen kann. Deutsche und Franzosen und Engländer, die vor 100 Jahren noch als Feinde in den Schützengräben lagen, haben sich versöhnt und sind Freunde geworden. Wir alle miteinander, in London, Paris und Wendelstein, wir können heute Abend Weihnachten in Frieden feiern. Gott sei Dank. Und dass es das so bleibt und dass auch sonst auf der Welt Friede wird, möge uns Gott doch schenken. Und dass wir heute auch daheim in den eigenen vier Wänden ein schönes und friedliches Fest feiern können, das auch. Ich wünsche Ihnen allen frohe und gesegnete Weihnachten. Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.