Liebe Gemeinde,
„wenigstens ein Vaterunser wurde gebetet! Wenigstens ein Vaterunser!" Die Frau, mit der ich rede, ist immer noch ganz aufgebracht. Empört erzählt sie mir von der Urnenbeisetzung ihrer Nachbarin. Keine Trauerfeier, kein Pfarrer, keine Musik, keine Ansprache, kein gar nichts. Die Bestatterin ist mit der Urne zum Urnenfeld auf den Waldfriedhof, hat die Urne dort versenkt – und war dann mutig und hat wenigstens ein Vaterunser gesprochen. „Wenigstens ein Vaterunser."
Ja, liebe Gemeinde, es gibt solche Situationen, die einen einfach zu einem Gebet drängen. Beim Abschiednehmen von einem Menschen. Am Sterbebett, wenn man weiß, die Zeit hier auf Erden ist abgelaufen. Die meisten Menschen drängt es da zu einem Gebet – und wenn es nur leise in Gedanken gesprochen wird.
Es gibt solche Situationen, die einen zum Gebet drängen. Ich erinnere mich noch an den zweiten Golfkrieg 1990, kurz nach meinem ersten theologischen Examen, wie ich staunend vor der überfüllten Lorenzkirche stand und zum Friedengebet nicht mehr hineinkam. Die große Lorenzkirche war überfüllt. Das Gebet um Frieden – wie wichtig ist es doch.
Predigttext zum Sonntag Rogate
Ermahnung zum Gebet und zum rechten Wort
2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! 3 Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin, 4 auf dass ich es so offenbar mache, wie ich es soll. (Kol 4,2-3)
Es gibt solche Situationen, die einen zum Gebet drängen. Als ich vier Jahre später in der Entbindungsstation des Fürther Krankenhaus so einen kleinen Wurm in den Armen hielt, der mein Sohn war, da konnte ich nur noch stahlen und Gott loben und danken. Was für ein Geschenk des Lebens!
Es gibt solche Situationen, die einen fast unweigerlich zum Gebet drängen. Ich könnte noch viel mehr erzählen. Sicher könnten Sie aus Ihrem Leben etliches hier beitragen.
Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! Beharrlich, liebe Gemeinde! Unser Bibelwort lädt uns ein zum Beten. Es ermutigt uns, mit dem Gebet nicht nachzulassen. Nicht nur in außergewöhnlichen Situationen sollen wir beten, sondern regelmäßig, als ein lebendiger Teil unseres Lebens. Ich weiß nicht, wie Sie das mit dem Beten halten?
Ich bin einfach oft so mit meinem Gott im Gespräch. „Danke für diesen guten Morgen. – Bitte steh mir in der nächsten Stunde bei, dass ich die richtigen Worte finde. – Danke, dass diese Situation gut ausgegangen ist. – Bitte sei bei dem kranken Menschen, auch wenn ich heute wieder nicht die Zeit gefunden habe, ihn zu besuchen. – Danke, Gott, für die all die Menschen, mit denen ich so gut zusammenarbeiten darf." Ich bete am Schreibtisch, im Garten, auf dem Weg zu einem Besuch, im Auto – oft einfach so im Gespräch mit Gott.
Beten heißt: mit Gott reden. Mit ihm in Beziehung treten. Den Kontakt mit ihm aufnehmen. Zu reden, aber auch hinzuhören, sich füllen zu lassen.
Beten heißt: sich klar machen und vor Augen führen: ich habe nicht alles in der Hand. Es ist ein Irrglaube, zu denken, ich bin der Herr aller Dinge. Nein, nicht ich, sondern er, unser Gott, ist es.
Beten heißt: voller Vertrauen auf Gottes Beistand durch den Tag mit all seinen Herausforderungen gehen und wunderbar entdecken, was er mir alles schenkt.
Deswegen ist es gut, beharrlich zu beten, Gott zu bitten, zu danken und zu loben. Nicht, weil Gott unsere Gebete nötig hätte – Nein, was ist das für eine Vorstellung! – sondern weil wir sie nötig haben, weil das Beten uns in Kontakt mit Gott bringt, weil es uns trotz unserer endlichen Kraft zuversichtlich und geduldig, hoffnungsvoll und mutig, zufrieden und dankbar macht.
Deshalb: Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin, auf dass ich es so offenbar mache, wie ich es soll. So bittet der Schreiber des Briefes, der offenbar im Gefängnis sitzt. Er ermuntert seine Gemeinde zum Gebet. Auch ich will das heute tun!
Ich möchte das noch einmal ganz anders mit einem Witz machen: Ein Missionar wandert durch die Wüste. Er ist schon ziemlich schwach. Plötzlich sieht er sich von einem Rudel Löwen umzingelt. Kurz bevor er vor Schreck in Ohnmacht fällt, schickt er ein Gebet zum Himmel: „Lieber Gott, lass diese Löwen fromm werden." Und siehe da: er erwacht tatsächlich wieder. Die Löwen sitzen um ihn und er hört sie beten: Segne Vater diese Speise uns zur Kraft und dir zum Preise.
Ein netter Witz – klar. Aber drei Dinge zum Gebet macht er deutlich:
Erstens: Es ist gut, in der Not Gott seine Sorgen und Bitten zu sagen. Stoßgebete sind etwas Tolles und Wichtiges. Du musst beim Beten nicht besonders geschliffen formulieren. Du musst im Gebet nichts Besonderes darstellen. Du kannst einfach Gott das sagen, was du ihm sagen willst. Bitte, Lob und Dank – oder auch nur ein ganz kurzer Stoßseufzer: „Bitte, Vater im Himmel, hilf!"
Zweitens: Gott erhört unsere Gebete – freilich manchmal anders, als wir es erwarten. Wir beten nicht einfach in den luftleeren Raum. Wir führen keine Selbstgespräche. Gott erhört uns, auch wenn er nicht einfach so geradlinig unsere Wünsche erfüllt. Das wäre wohl etwas zu einfach gedacht. Gott hört uns und lässt uns nicht allein.
Drittens: Unserem Beten sollen auch entsprechende Taten folgen. Wer Gott um Barmherzigkeit bittet, sollte auch barmherzig sein. Wer um Vergebung bittet, sollte selber auch vergeben. Wer für seinen kranken Nachbarn bei Gott ein gutes Wort einlegt, kann sich ruhig auch mal zu einem Besuch aufmachen. Wer Gott anruft, muss sich von ihm auch in Pflicht nehmen lassen. Da haben unsere frommen Löwen noch etwas zu lernen. Gott danken und dann den anderen verspeisen – das geht nicht zusammen. Unseren Beten sollen schon auch entsprechende Taten folgen.
Da gilt übrigens auch beim Aufhängen von Kreuzen. Ich persönlich finde es gut, wenn auch im öffentlichen Raum Kreuze hängen oder stehen: die Wegkreuze, die Gipfelkreuze, die Kreuze in Krankenhäusern und Altenheimen, unser schönes Feldkreuz in Raubersried. All diese Kreuze erinnern uns doch daran, dass nicht wir die Herrn der Welt sind. Sie erinnern uns, dass wir alle erlösungsbedürftig sind. Sie erinnern uns daran, Gott und den Nächsten zu lieben und für die Armen und Geschundenen einzutreten. Es ist wie beim Gebet: Dem Aufhängen von Kreuzen müssen dann auch entsprechende Taten folgen.
Also, liebe Gemeinde, eine Ermahnung, eine Ermutigung zum Beten ist unser Bibelwort. Bleibt in Kontakt mit Gott! Betet, wann immer es für euch passt, beim Aufstehen, unter der Dusche, vor dem Essen, beim Autofahren, oder wann und wo auch immer. Noch einmal unser Bibelwort in einer anderen Übersetzung: Lasst nicht nach im Beten, werdet nicht müde darin und tut es immer mit Dank! Betet dabei auch für uns – ich ergänze: die Pfarrerinnen und Pfarrer – dass Gott uns eine Tür öffnet für seine Botschaft. Wir sollen ja das Geheimnis bekannt machen, das in Christus beschlossen ist.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Der Sonntag Rogate
Der Sonntag Rogate (Betet!) ermutigt zum Gebet. Auch Jesus hat immer wieder dazu aufgerufen. Vielfältige Formen des Betens finden sich schon in der Bibel: Das stürmische und unnachgiebige Gebet, das Gott drängt wie einen Freund, das stellvertretende Einstehen für andere und der Dank. Jesus verspricht, dass wer in seinem Namen bittet, bei Gott nicht auf taube Ohren stößt. Und er lehrt seine Jünger das Gebet, das alle anderen umfasst: das Vaterunser. Es müssen nicht viele Worte sein. Dieses ist genug. Es führt zum Hören auf Gott. Nicht unser, sondern Gottes Wille soll geschehen.