Verbunden mit Christus - Gedanken zum Sonntag Jubilate

Bildrechte beim Autor

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Folgendes Bild habe ich vor Augen: An der Südwand des Hauses wächst ein Weinstock. Stark ist er, verzweigt, schön hochgewachsen und mit tiefen Wurzeln. Jahrzehnte  steht er schon in der sommerlichen Südsonne und im Herbst trägt er viele süße, wenn auch kleine Trauben. So alt wie die Fassade des Hauses ist er. Eines Tages ist eine Fassadensanierung des alten Hauses unumgänglich. Der Weinstock muss gekappt werden, abgeschnitten reicht sein dicker Stamm nicht mehr weit in die Höhe. Was wird aus ihm werden?

 

Die Fassade ist saniert. Der Winter kommt und mit ihm der Schnee und die Kälte. Nach dem Winterschlaf erwacht der Frühling und mit ihm auch der Weinstock zum neuen Leben. Aus dem kurzen Stamm treibt er, stärker und schneller als je zuvor. Seine Kraft holt er aus dem, was nicht sichtbar ist, aus dem weit verzweigten Wurzelwerk im Boden. Er grünt und streckt sich der Sonne entgegen. Noch braucht er Zeit, um sich zu entfalten, doch schon im zweiten Jahr trägt er Trauben und wie es scheint süßer als je zuvor. Der alte Weinstock hat überlebt und sich ganz neu entfaltet. Das Wunder des Lebens.

Mitten im Frühling feiern wir den Sonntag Jubilate. „Jubelt!“, ruft er uns zu. Jubelt über den Sieg des Lebens. Es ist die österliche Freudenzeit. An jedem Sonntag feiern wir die Auferstehung Jesu – in diesen Wochen ganz besonders. Jubilate! Jubelt, der Herr ist auferstanden.

Sehr passend finde ich, dass in Wendelstein seit Jahren an diesem Sonntag Konfirmation gefeiert wird. Es ist eine große Freude, wenn junge Menschen zum Glauben „Ja“ sagen. Leider ist es in diesem Jahr nicht möglich. Wir sind im Ausnahmezustand. Die Konfirmationen mussten in den Herbst verschoben werden.

Jubilate! Jubelt über den Sieg des Lebens! Im Mittelpunkt dieses Sonntags steht das Bild vom Weinstock. In der Bibel ist er ein Sinnbild für das Volk Israel, bei Jesus ein Bild für die christliche Gemeinde. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun, sagt er. Mit anderen Worten: Es kommt auf das Verbundensein an. Als Christen sind wir mit Jesus verbunden und durch ihn auch miteinander.

Unser derzeitiger Corona-Ausnahmezustand stellt dieses Verbundensein ziemlich auf die Probe. Die letzten Wochen gab es keine Gottesdienste, keine Andachten, keine Veranstaltungen, keine Zusammenkünfte, keine Hauskreise, keine Familienfeiern. Sogar Seelsorgebesuche gab es nur in Ausnahmefällen. Das haben wir alle noch nie erlebt. Abstandhalten ist das Gebot der Stunde, wie kann da Verbundenheit erlebt werden?

Mit großem Staunen nehme ich die vielen kreativen Ideen wahr, wie in Gemeinden und auch sonst mit Abstand Verbundenheit gezeigt wird. Da singt man in der Schubertstraße Abendlieder. Da spielt am Sonntagmorgen im Garagenhof ein Bläserduo. Da werden Osterneste an die Kindergartenkinder, die zuhause bleiben müssen, verteilt. Da schießen Online-Gottesdienste aus dem Boden oder besser gesagt aus dem Netz. Zu Ostern haben wir in ökumenischer Verbundenheit Osterkerzen an alle Wendelsteiner Haushalte verteilt. Die Resonanz war überwältigend. Erstaunt und dankbar blicke ich auf das, was da so schnell gewachsen ist. Wir sehen, welch ein Geschenk es ist, dass Gott uns mit so viel Lebensenergie und Kreativität ausgestattet hat.

Es gibt freilich auch Momente, da fühlt man sich wie ein gekappter Weinstock. Nichts scheint mehr zu wachsen und zu grünen. Nichts scheint aufzublühen und Früchte zu tragen. Man fühlt sich abgeschnitten vom Leben. Dann kommt es auf das an, was man nicht sieht: auf die unsichtbaren Wurzeln. Wo bin ich verankert? Woher beziehe ich meine Kraft? Wie tief reicht mein Dasein hinab?

Ermutigend finde ich die Worte Jesu: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Unsere Zuversicht, unsere Kraft des Glaubens kommt aus der Verbundenheit mit ihm. Diese Verbundenheit ist etwas ganz Persönliches. Wir tragen sie im Herzen. Sie zeigt sich in unseren Gedanken, in unserer Haltung, in unseren Gebeten.

Ermutigend finde ich diese Worte Jesu gerade auch deshalb, weil das Bild vom Weinstock verdeutlicht: Nicht die Reben machen die Verbindung, sondern der Weinstock selbst. Jesus verbindet sich mit den Seinen. Er schenkt Kraft und Energie. Er lässt uns nicht los, selbst wenn wir uns kraftlos und ausgetrocknet fühlen.

Ich denke noch einmal an unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden. Früher war dieser Vers ein beliebter Konfirmationsspruch. Heutzutage wird er seltener gewählt, vielleicht weil das Bild vom Weinstock nicht mehr so geläufig ist, vielleicht auch weil man sich in unseren Tage nicht mehr so binden und abhängig sein will. In diesen Corona-Tagen merken wir, wie bedeutsam Verbundenheit ist und was für eine Kraft daraus fließt. Ich hoffe und wünsche mir für diese jungen Menschen an der Grenze zum Erwachenwerden, dass sie starke Wurzeln für das Leben finden und die Kraft der Verbundenheit mit Christus erfahren.

Jubilate! Jubelt über den Sieg des Lebens! Die frohe Botschaft heute: Auch wenn Abstand das Gebot der Stunde ist, mit Christus sind und bleiben wir verbunden. Aus ihm schöpfen wir unsere Kraft.

Bleiben Sie gesund und behütet

Ihr Pfarrer Norbert Heinritz