Sonntagsbetrachtungen im Schwabacher Tagblatt vom 19.3.2016
Lieber Leser, liebe Leserin,
an diesem Sonntag ist Palmsonntag. Seinen Namen hat er von den Palmwedeln, die die Menschen vor Begeisterung auf den Weg legten, als Jesus in Jerusalem einzog. Sie jubelten Jesus zu. Sie riefen „Hosianna“ und „Halleluja“. Sogar Königsrufe erschallten für diesen jungen Mann, der ganz unköniglich auf einem Esel in die Stadt ritt. Es dauerte freilich nicht lange, gerade mal eine knappe Woche, da erklangen ganz andere Rufe in der Hauptstadt der römischen Provinz. „Kreuziget ihn! Kreuziget ihn!“, skandierte die Menschenmenge vor dem Palast des römischen Statthalters Pilatus.
So schnell kann es gehen! So schnell kann die Stimmung kippen. Aus Jubelrufen und Begeisterungsstürmen werden dann Schmährufe und Hassparolen. Jerusalem war eine gespaltene Stadt. Auf der einen Seite die Anhänger Jesu, die in ihm den Hoffnungsträger sehen, die ihn voll Freude willkommen heißen. Auf der anderen Seite die Gegner, für die er ein Unruhestifter ist, der nur Chaos verursacht und den sie am liebsten schnell aus dem Weg schaffen würden. Und dazwischen die vielen Unentschlossenen, die nicht wissen, wo sie eigentlich stehen sollten.
Ich erlebe meine Heimat angesichts der Flüchtlinge, die zu uns kommen, auch immer mehr als ein gespaltenes Land. Der Ton wird rauer. Menschen werden geschmäht. Man weigert sich, miteinander zu reden. Die einen beschimpfen die anderen, ohne richtig hinzuhören. Parolen statt Argumente. Ängste werden geschürt oder kleingeredet. Ich muss sagen, mich erschreckt das. Wo führt das hin?
Zwischen Palmsonntag und Karfreitag liegt der Gründonnerstag. Zwischen den begeisterten Hosiannarufen und dem lautstarken „Kreuziget ihn!“ liegt die Feier des letzten Mahls Jesu mit seinen Jüngern. Am Tisch sitzen ganz unterschiedliche Menschen. Ein Zöllner, der mit den römischen Besatzern kollaboriert hatte. Ein Zelot, der die Zöllner samt den Römern am liebsten ins Mittelmeer getrieben hätte. Zwei Möchte-gern-Große, die im Himmel die Ehrenplätze neben Jesus beanspruchen. Ein Sanfter, der Lieblingsjünger genannt wird. Ein Wortführer, der gerne große Sprüche über seine Glaubensüberzeugung machte. Ein Zweifler, der nur glauben wollte, was er sieht. Und ein Verräter, er eigentlich gar nicht genau weiß, was er tut. Man kann sich gut vorstellen, wie laut das zugegangen sein muss, wie aufgeladen die Wortwechsel zu Tisch waren – so wie manchmal auch bei uns an den Familien- und Stammtischen.
Und dann feiert Jesus dieses Mahl der Versöhnung. Von einem Brot sollen sie runterbeißen, aus einem Kelch sollen sie trinken und einander die Hand zur Versöhnung reichen. Bei aller Unterschiedlichkeit sollen sie merken, dass sie zusammengehören.
So etwas brauchen wir auch wieder viel mehr in unserem Land: Versöhnung, verbale Abrüstung, zuhören, statt abkanzeln, Argumente statt Parolen. Wir brauchen Menschen, die einander ernstnehmen, auf die Sorgen und Ängste hören und andere nicht ausgrenzen. Wir brauchen klare Worte gegenüber diejenigen, die jeden Anstand bei ihren Äußerungen vermissen lassen. Wir brauchen Begegnung statt Geschrei und die Einsicht, dass wir nur miteinander gut in diesem Land und auf dieser Welt leben können. Am besten fängt da jeder selber bei sich an.
Pfarrer Norbert Heinritz, Wendelstein