März 2017 - Heute ist Ökumene im kirchlichen Leben selbstverständlich. Sogar das Reformationsgedenken wird 2017 in Teilen erstmalig ökumenisch als Christusfest gefeiert. Vergessen werden dürfen allerdings nicht jene Wunden, die durch die Trennung der Kirchen entstandenen sind. Zahlreiche Menschen leiden bis heute unter ihnen. Am 11. März 2017 beteten deshalb in Hildesheim Gläubige bei einem Versöhnungsgottesdiensts des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz unter dem Motto „Healing of Memories" (Heilen der Erinnerung) um Vergebung für die wechselseitigen Verletzungen. Dieser Gottesdienst wurde parallel auch in der evangelischen Kirche St. Georg in Wendelstein ökumenisch gefeiert.
Vorher kamen Christen aus Wendelstein bei einem Erzählcafé im Martin-Luther-Haus über ihre Verletzungen und Erfahrungen miteinander ins Gespräch. Diese prägen ihr Leben bis heute nachhaltig bereichernd und schmerzlich zugleich. „Verletzungen sollen zu Narben werden, die nicht mehr wehtun", so Moderatorin Brigitte Gotthard-Paulus. Es wurde zurückgeschaut auf die konfessionelle Trennung in der mittelfränkischen Marktgemeinde, aber auch in andere bayerische Orte und Regionen, wie etwa Nürnberg, München und Unterfranken oder den Bayerischen Wald.„Es ist, was es ist, sagt die Liebe", schrieb Erich Fried in einem Gedicht. Die kirchliche Spaltung hinterlässt bei vielen Liebenden bis heute schmerzhafte Spuren. Gehörte die oder der Auserwählte der anderen Konfession an, hatte ihre Liebe bis in die 1960er oft keine Zukunft. Zu groß waren die Vorurteile. Vielfach war an diesem Nachmittag je nach Konfession zu hören: „Ich habe mich nicht getraut, einen evangelischen [oder katholischen] Mann mitheimzubringen!" Wieder andere gaben ihre eigene Konfession auf, worunter sie leiden – manche ein Leben lang. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor 50 Jahren gehen die Kirchen aufeinander zu. Konfessionsverbindende Ehen sind möglich.
In den 1950ern und 1960ern war der Schulalltag von zahlreichen Kindern und Jugendlichen noch von der Spaltung berührt. Es gab in Bayern bis 1968 Bekenntnisschulen für evangelische und katholische Schülerinnen. „An Fronleichnam wurden die Vorhänge im Klassenzimmer zugezogen. Wir Evangelischen durften die Prozession nicht beobachten ", erzählt eine gebürtige Wendelsteinerin. Keiner hat ihnen damals etwas über das katholischen Hochfest erklärt, an dem die leibliche Gegenwart Jesu Christi im Sakrament der Eucharistie gefeiert wird.
Nicht nur die fremde, sondern auch die eigenen Konfession kann verletzen. Eine ehemalige Krankenschwester berichtete von ihren Erfahrungen in einer Nürnberger Klinik mit evangelischem Träger in den 1960ern. Bis heute erschüttert sie die Erinnerung an eine hartherzige Diakonisse. Diese hatte einem Mann, der seine drei Söhne im 2. Weltkrieg verloren hatte, verboten, seiner sterbenden Frau beizustehen: „Die Besuchszeit am Nachmittag war vor-bei. Dann hat man unter Protest das Bett ins Bad auf der Station geschoben." Es sind Erlebnisse, die auch nicht folgenlos für die Kirchen bleiben. „Viele Menschen, die durch die Kirche verletzt wurden, haben der Kirche den Rücken gekehrt", so der evangelische Pfarrer Norbert Heinritz. – Doch wie kann das in Zukunft verhindert werden? Michael Kneißl, katholischer Pfarrer in Wendelstein, zitierte deshalb die Publizistin Hannah Arendt: „Wir haben nicht das Recht gehorsam zu sein." Menschen können sich annähern und mit Vielfalt umgehen lernen. „Ka-tholiken und Evangelische habe den gleichen Gott, das apostolische Glaubensbekenntnis und das Vater unser", resümiert ein Wendelsteiner Katholik, der in einer konfessionsverbindenden Familie lebt.
Die Versöhnungsgottesdienste in Hildesheim und Wendelstein am 11. März 2017 haben die christliche Kernbotschaft untermauert: Jesus ist für alle Menschen gestorben, egal ob evangelisch oder katholisch.
Heinrike Paulus (hep)