Juni 2016 - Können alte Gräber auf den Friedhöfen und Denkmäler des Totenbrauchtums Geschichte(n) erzählen? Die eindeutige Antwort „Ja" gaben jetzt Pfarrer Norbert Heinritz mit Unterstützung von Historiker Dr. Jörg Ruthrof im Rahmen einer Führung durch den historischen Friedhof rund um die St.Georgskirche mit Spurensuche nach dem Thema „Tod" in der Kirche selbst. Knapp 20 Interessierte folgten der Spurensuche mit ortsgeschichtlichen Ergänzungen am Samstagvormittag und erfuhren dabei viel über das „alte Wendelstein" und seine Persönlichkeiten.
Im Rahmen des Jahresthemas „Friedhofskultur" als eine der Veranstaltungen im Jahresprogramm der kirchlichen Ökumene vor Ort angekündigt, waren knapp 20 Teilnehmer der Einladung zu dieser besonderen „Friedhofsführung" gefolgt. Die Führung konzentrierte sich allein aufgrund der vielen historischen Gräber und der örtlichen Kirchengeschichte speziell auf den Friedhof rund um die St.Georgskirche und Spuren früheren Totenbrauchtums in der Kirche. Auch deshalb begann die Führung in der Kirche, wo Pfarrer Norbert Heinritz die Teilnehmer begrüßte und zuerst Informationen über das Totenbrauchtum früher gab.
Der Tod, so der Pfarrer, war früher ein weniger verdrängtes Ereignis im kirchlichen Leben als in den heutigen Tagen. An zwei erhaltenen barocken Vortragestangen für Beerdigungen er-läuterte er das frühere liturgische Verständnis von Tod und Begräbnis. Vielmehr war eine Beerdigung eine große Feier als Symbol des Übergangs vom Leben zum neuen Abschnitt als „ewiges Leben bei Gott". Schon deshalb fand früher der Abschied vom Toten in der Familie und im Wohnhaus statt und der Sarg wurde erst zur Abschiedsgottesdienst in die Kirche getragen und von dort direkt zum Grab, wobei allein die Erdbestattung damals üblich war.
„Leersarg" der Achahildis als Erinnerung an Wallfahrtskirche
In der Kirche erinnerte Dr. Jörg Ruthrof an den „symbolischen Sarg" - griechisch „Kenotaph" („leerer Sarg") - der ehemals hier verehrten Ortsheiligen Achahildis aus der Entstehungszeit der Kirche vor der Reformation, der jetzt als Altartisch im Chorraum dient. Auch die heute in die Mauer eingemauerten Bronzetafeln verstorbener Pfarrer stellte er vor, die vor und nach der Reformation in der Kirche selbst bestattet wurden. Als letzte Person insgesamt, so Pfarrer Norbert Heinritz hierzu, wurde auf besonderen Wunsch der damalige Schloßbesitzer „auf der Sorg", ein österreichischer Exulant, im 17. Jahrhundert in der Kirche bestattet.
Beim Rundgang über den Friedhof rund um die St.Georgskirche mit Grabsteinen aus der Barockzeit bis hin zu modernen Grabstätten kam viel Ortsgeschichte, viele Geschichten und auch manches Humorvolle zutage: Ortsgeschichtlich prägende Familien, auf die Dr. Jörg Ruthrof in seinen Erläuterungen einging, waren die örtliche Brauereibesitzer Lang & Maisel ebenso wie die Familien Ammon und Jegel mit den drei gleichnamigen Bürgermeistern Wilhelm Jegel I bis III vom 19. Jahrhundert bis in die Zeit des 3.Reichs hinein. Die „europäische" Dimension des Friedhofs stellte Pfarrer Norbert Heinritz anhand der Gräber von George Goddard - aus England stammend - und von dem in Südtirol geborenen Paul Kerschbaumer vor.
Wie standesbewusst die Handwerker und „Mittelständler" in Wendelstein vor gut 100 Jahren waren, machten die Grabstätten der Familien Albrecht oder Quinat deutlich, zu denen die Führungsteilnehmer ebenso ausführliche Informationen erhielten. Auch „unentbehrliche Hel-fer" der Kirchengemeinde wie die Familie von Georg „Girgl" Wittmann oder Gisela Baumann wurden mit ihren Grabstätten vorgestellt. Ein besonderes Mahnmal wegen des jetzigen Flüchtlingsthemas stellte das Kindergrab eines kurz nach Kriegsende 1945 hier bestatteten Mädchens einer Flüchtlingsfamilie dar, so Pfarrer Heinritz. Der in die USA ausgewanderte Bruder des Mädchens habe sogar kürzlich nachgefragt, ob es das Grab seiner Schwester noch gebe. (jör)